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Warum?

Warum?

Eine Geschichte des Holocaust

vonHayes, Peter | Schäfer, Ursel
Deutsch, Erscheinungstermin 17.08.2017
lieferbar

eBook

25,99 €
(inkl. MwSt.)

Buch (gebunden)

29,95 €
(inkl. MwSt.)

Informationen zum Titel

978-3-593-43688-3
Frankfurt
17.08.2017
2017
1
1. Auflage
eBook
PDF mit digitalem Wasserzeichen
445
8 Abbildungen, mit Lesebändchen
Deutsch
eng
Geschichte
Inhalt

Einführung

Warum noch ein Buch über den Holocaust? 9

Kapitel 1
Ziele: Warum die Juden? 15
Antisemitismus 15
Emanzipation und Gegenreaktion 34

Kapitel 2
Angreifer: Warum die Deutschen? 51
Nation und Volk 51
Hitlers Chance 71

Kapitel 3
Eskalation: Warum Mord? 91
Von der Arisierung zur Gewalt 93
Reaktionen von Juden und Nichtjuden 110

Kapitel 4
Vernichtung: Warum so schnell und so radikal? 135
Von Kugeln zu Gas 137
Die Täter: Die "Generation des Unbedingten" 159
Zwangsarbeit und Versklavung 184

Kapitel 5
Die Opfer: Warum leisteten nicht mehr Juden mehr Gegenwehr? 201
Gehorsam und Widerstand 202
Die Welt der Lager 229

Kapitel 6
Die Heimatländer: Warum waren die Überlebensraten so unterschiedlich? 247
Unterschiedliche Verhaltensweisen 248
Der Fall Polen 270

Kapitel 7
Zuschauer: Warum kam nur so wenig Hilfe von außen? 291
Ausreden in der Vorkriegszeit 292
Prioritäten während des Kriegs 312

Kapitel 8
Nachspiel: Welches Erbe? Welche Lehren? 337
Rückkehr, Repatriierung, Rache und Restitution 337
Legenden und Lehren 363

Danksagung 387
Abbildungen 389
Anmerkungen 391
Auswahlbibliografie 413
Personenregister 439
Warum geschah der Holocaust, die Ermordung von Millionen jüdischer Menschen während des Nationalsozialismus? Peter Hayes ist der erste Historiker, der die Frage nach dem Warum ins Zentrum eines Buches stellt. Hayes spannt den Bogen von den Ursprüngen des Antisemitismus bis hin zur Bestrafung von NS-Verbrechern nach 1945. So gelingt ihm ein kluger und präziser Überblick über die Vernichtung der europäischen Juden. Ein eindrucksvolles Buch, an dem künftig nicht vorbeizukommen sein wird.

"Das Buch spiegelt meine Überzeugung wider, dass der Holocaust genau wie jede andere menschliche Erfahrung erklärbar ist, auch wenn das nicht einfach ist." Peter Hayes
Peter Hayes ist emeritierter Professor für Geschichte und Deutsch und für Holocaust Studies an der Northwestern University. Außerdem ist er Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des United States Holocaust Memorial Museum. 2010 erschien von ihm (gemeinsam mit Eckart Conze, Norbert Frei und Moshe Zimmermann) "Das Amt und die Vergangenheit", 2004 "Die Degussa im Dritten Reich".
Einführung

Warum noch ein Buch über den Holocaust?

Siebzig Jahre nach seinem Ende entzieht sich der Holocaust immer noch unserem Verständnis. Trotz (oder vielleicht wegen) der Produktion von rund 16 000 Büchern, die die Library of Congress unter diesem Schlagwort verzeichnet, trotz immer neuer Museen und Gedenkstätten, trotz jährlich neuer Filme zu dem Thema und trotz einer Vielzahl von Bildungsprogrammen und Kursen fehlt offenbar immer noch eine kohärente Erklärung, warum im 20. Jahrhundert eine so schreckliche Schlächterei im Herzen des zivilisierten Europas möglich war. So lauten die vielleicht am häufigsten im Zusammenhang mit dem Holocaust verwendeten Adjektive denn auch "unvorstellbar", "unverständlich" und "unerklärlich". Diese Begriffe zeugen von einem Reflex, sich zu distanzieren, einem beinahe instinktiven Rückzug in Selbstverteidigung. Zu sagen, man könne den Holocaust erklären, erscheint gleichbedeutend mit seiner Verharmlosung. Wer bekennt, dass er ihn nicht begreifen kann, bekundet seine Unschuld - seine oder ihre Unfähigkeit, sich so etwas Schreckliches vorzustellen, geschweige denn, etwas Derartiges zu tun. Insofern ist es kein Wunder, dass Verständnislosigkeit die übliche Haltung angesichts der Monstrosität des Holocaust ist, auch wenn sie es verhindert, aus dem Thema zu lernen.
Selbstschutz ist jedoch nicht der einzige Grund, warum es den Menschen immer noch schwerfällt, den Holocaust verstandesmäßig zu begreifen. Ein weiterer Grund ist die Komplexität der Aufgabe. Den Holocaust zu verstehen erfordert, zahlreiche mit ihm verbundene Rätsel zu lösen. Seit fast drei Jahrzehnten unterrichte ich amerikanische Studenten zu dem Thema, und in der Zeit habe ich viele Vorträge vor wissenschaftlichem und allgemeinem Publikum gehalten. Dabei bin ich zu der Einsicht gelangt, dass Menschen, die sich mit dem Thema herumschlagen, acht zentrale Fragen besonders schwierig finden. Manche betreffen Taten, andere betreffen Versäumnisse, und wieder andere betreffen beides. Alle erfordern eine Klärung, die berücksichtigt, dass sie miteinander verflochten sind, bevor man die Katastrophe verstehen und darüber Rechenschaft ablegen kann. Jedes Kapitel dieses Buchs untersucht eines dieser acht zentralen Themen, die in Form einer Frage angeschnitten werden. Das Buch als Ganzes spiegelt meine Überzeugung wider, dass sich der Holocaust genau wie jede andere menschliche Erfahrung erklären lässt, auch wenn das nicht einfach ist.
Bei der Beantwortung dieser Fragen bringe ich ein Fachwissen ein, das bei Holocaust-Forschern eher ungewöhnlich ist. Ich bin gelernter Wirtschaftshistoriker. Das heißt nicht, dass ich primär materielle Gründe für den Mord sehe (tatsächlich sage ich, dass die materiellen Gründe gegenüber den ideologischen Motiven zweitrangig waren). Aber mein Hintergrund sensibilisiert mich für Zahlen und ihre Bedeutung, und ich nutze oft die Erklärungskraft von Zahlen. Ein weiteres Merkmal meiner Darstellung sind ihre dialektischen Ursprünge. Dieses Buch soll nicht eine These des Autors belegen, es ist vielmehr die Frucht eines Prozesses von Geben und Nehmen über viele Jahre des Lehrens und Vortragens hinweg, in denen ich gelernt habe, welche Aspekte des Themas die Menschen besonders dringlich geklärt haben wollen und warum. Deshalb habe ich mich bei meiner Lektüre und meinem Nachdenken darauf konzentriert, die verlässlichsten Quellen zu identifizieren, die die Forschung zu bieten hat, und mich dann bemüht, dieses Wissen möglichst gut zugänglich zu machen und möglichst einprägsam zu vermitteln.
Neben dem Wunsch, Erklärungen zu geben, verfolgt dieses Buch noch ein weiteres Ziel: Es will die Wahrheit erzählen. Der verstorbene Historiker Tony Judt hat geschrieben: "Da es uns unmöglich ist, das Verbrechen [den Holocaust] zu erinnern, wie es wirklich war, laufen wir zwangsläufig Gefahr, es zu erinnern, wie es nicht war."1 Rund um das Thema sind zahlreiche Mythen entstanden. Manche sollen uns trösten, dass alles hätte ganz anders kommen können, wenn nur eine Person oder Institution tapferer oder klüger gehandelt hätte. Andere sollen bevorzugten oder überraschenden Tätern oder sogar Historikern neue Schuld aufladen. Dieses Buch zerstört viele Legenden - von der Vorstellung, der Antisemitismus habe Adolf Hitler in Deutschland an die Macht gebracht, bis zu der Überzeugung, viele Haupttäter seien nach dem Holocaust der Bestrafung entgangen. Im letzten Kapitel werden die verbreitetsten Mythen vorgestellt und entlarvt, einschließlich der immer wieder laut vorgetragenen Behauptung, der Holocaust habe gar nicht stattgefunden.
Das Buch spannt folgenden Argumentationsbogen: Der Holocaust war das Produkt einer bestimmten Zeit und eines bestimmten Orts, nämlich Europas unmittelbar nach der industriellen Revolution, den Erschütterungen des Ersten Weltkriegs und der bolschewistischen Revolution. Vor diesem Hintergrund wurde aus einer alten Feindseligkeit gegen die Juden und das Judentum, die tief in einer religiösen Rivalität wurzelte und in der Begrifflichkeit der modernen Wissenschaft aktualisiert wurde, ein an Besessenheit grenzender Aberglaube, dem zufolge die Juden zur magischen Lösung aller sozialen Probleme aus der Zivilgesellschaft eliminiert werden müssten. Die Verwerfungslinien der Umbrüche brachten diese Überzeugung in den 1930er Jahren in Deutschland an die Macht, aber die Ermordung der Juden Europas war weder von der deutschen Geschichte vorprogrammiert noch ein ausschließlich deutsches Projekt. Das Massaker nahm unter spezifischen politischen und militärischen Bedingungen Gestalt an und verschärfte sich zum Teil deswegen, weil es zu den Zielen vieler anderer Europäer passte, zumindest während der kurzen extremen Phase, als der größte Teil des Mordens geschah. Die Opfer der Schlächterei waren weitgehend machtlos, und die Zuschauer hatten mit ihren eigenen, für sie drängenderen Sorgen zu kämpfen. Die Falle, die während der NS-Zeit rund um die europäischen Juden zuschnappte, schloss sich so fest, dass nur einer Minderheit die Flucht gelang, meistens nur knapp und in letzter Sekunde. Danach zögerte die Mehrheit der Länder des alten Kontinents anzuerkennen, woran sie mitgewirkt hatten, aber sie errichteten auch zahlreiche Barrieren, damit sich so etwas nicht wiederholen kann. Heute, siebzig Jahre später, stehen diese Barrieren unter Druck.
Mittlerweile kann fast niemand mehr mit dem Tempo der Holocaust-Forschung mithalten und neue Erkenntnisse in eine allgemeine Interpretation einfügen. Überholte Vorstellungen bestehen fort, während zugleich neue irreführende sich festgesetzt haben. Deshalb brauchen Menschen, die sich für das Thema interessieren, eine gründliche Bestandsaufnahme, die direkt darauf abzielt, die zentralen und anhaltenden Fragen zu beantworten, warum und wie sich das Massaker an den europäischen Juden entfaltete. Genau dies bietet das vorliegende Buch.

Warum?

Kapitel 1

Ziele:
Warum die Juden?
Ausbrüche von Feindseligkeit gegen Minderheiten wurzeln fast immer zugleich in Ideen - in dem, was die Mehrheit über die Minderheit denkt - und in Umständen: der Art und Weise, wie oder unter welchen Bedingungen die beiden Gruppen zu einem bestimmten Zeitpunkt interagieren. Um zu erklären, warum im 20. Jahrhundert die Juden das Ziel mörderischer Absichten wurden, müssen wir uns beide Arten von Wurzeln ansehen.
Antisemitismus
Um die Feindschaft gegen Juden zu bezeichnen, wird heute üblicherweise der Begriff Antisemitismus verwendet. Einer meiner akademischen Lehrer im Studium sagte immer, problematisch daran sei, dass ein einziges Wort für eine Reihe unterschiedlicher Einstellungen benutzt werde - und alles abdecke, von groben Witzen über Juden bis hin zu dem Wunsch, sie umzubringen.1 Sein Einwand war berechtigt, aber eine Arbeitsdefinition ist trotzdem möglich. Meine lautet so: Antisemitismus ist die kategorische Beschuldigung der Juden, kollektiv widerwärtige und/oder destruktive Eigenschaften zu verkörpern. Mit anderen Worten: Antisemitismus ist der Glaube, dass die Juden abstoßende und/oder zersetzende Eigenschaften besitzen, die sie von Nichtjuden unterscheiden. Die Abstammung ist ausschlaggebend, Individualität ist eine Illusion.
Diese Haltung hat eine lange Geschichte. Ein berühmtes Buch von Robert Wistrich und ein viel gesehener Dokumentarfilm zu dem Thema heißen The Longest Hatred (Der älteste Hass). Der Titel ist jedoch aus zwei Gründen irreführend. Erstens reicht der Hass gegen die Juden in der westlichen Kultur zwar weit zurück, aber er war nicht zu allen Zeiten und an allen Orten gleich stark ausgeprägt; und zweitens hat er sein Erscheinungsbild erheblich verändert. Der Begriff, mit dem wir heute Vorurteile oder Hass gegen Juden ausdrücken, illustriert beide Punkte. Das Wort "Antisemitismus" tauchte erst 1879 auf. Seine Verbreitung wird üblicherweise Wilhelm Marr zugeschrieben, einem deutschen Agitator, der damit eine neue Form der Judenfeindschaft beschreiben wollte, die sich von früheren unterschied. Wie andere "Ismen", die im 19. Jahrhundert in großer Zahl entstanden, sollte auch der Begriff Antisemitismus suggerieren, dass es sich bei der neuen Feindschaft um eine politisch und wissenschaftlich begründbare handle. Beachtenswert ist, wogegen sich das Anti richtete: nicht gegen die Juden, sondern gegen etwas namens Semitismus. Was war das? Anders als andere Ziele von "Anti"-Bewegungen des 19. Jahrhunderts (wie zum Beispiel Antisozialismus, Antikommunismus, Antikatholizismus, Antivivisektionismus, ja sogar Antidisestablishmentarismus, das heißt Widerstand gegen die Aufhebung des Status der anglikanischen Kirche als Staatskirche) drückte dieser Begriff nicht die Ablehnung eines Glaubenssystems aus, das sich selbst so bezeichnete, vielmehr erfand er das gegnerische Phänomen. Selbsternannte "Antisemiten" borgten sich eine Kategorie aus der Linguistik, und das in irreführender Weise. Sie behaupteten, gegen Semiten zu sein - Sprecher einer Sprache aus der semitischen Sprachfamilie, die sich in Syntax und grammatikalischer Struktur von der sogenannten indoeuropäischen Sprachfamilie, die in Europa dominierte, unterschied. Doch tatsächlich galt die Ablehnung nicht allen Semiten, denn die Araber wurden üblicherweise nicht mit eingeschlossen, obwohl Arabisch eine semitische Sprache ist. Auch die neuzeitlichen Sprecher des Aramäischen, der Sprache von Jesus, waren nicht gemeint, obwohl Aramäisch ebenfalls eine semitische Sprache ist. In den späten 1930er und frühen 1940er Jahren gestand das NS-Regime implizit ein, dass der neue Begriff eine Lüge war, denn Deutschland bemühte sich, arabischen Regierungen zu versichern, dass es ihre Bevölkerungen weder als Bedrohung noch als Untermenschen betrachtete.2
Der neue "Ismus" war gegen die Juden gerichtet, und indem sich die Antisemiten auf die Sprache der Vorfahren der Juden konzentrierten und alle unter einem abstrakten, pseudowissenschaftlichen Euphemismus zusammenfassten, behaupteten sie, a) die Juden eindeutig von allen anderen Menschen abgrenzen, b) ihr Anderssein in ihrer Natur und Denkweise finden und c) belegen zu können, dass die Ablehnung der Juden nicht nur ein Vorurteil war, sondern die Antwort auf eine nachweisbare Realität, auf die man politisch reagieren müsse.
Bis vor Kurzem folgte die englische Schreibweise unwissentlich der Argumentation der Antisemiten, denn die übliche Schreibung von "anti-Semitism" mit Bindestrich und Großbuchstabe danach impliziert, dass es irgendwo so etwas wie "Semitismus" gebe. In der Sprache, aus der der Begriff stammt, dem Deutschen, kommt dieser Fehler nicht vor; Antisemitismus wird in einem Wort geschrieben. Heute sind Personen und Institutionen wie etwa das United States Holocaust Memorial Museum für diese Feinheit sensibilisiert und achten auf die Schreibung in einem Wort. Aber weder die Rechtschreibkontrolle von Microsoft Word noch das Oxford English Dictionary sind schon so weit.
Die Art und Weise, wie sich der Antisemitismus im Lauf der Zeit entwickelt und verändert hat, hängt in erster Linie mit der jeweiligen Stärke seiner xenophoben und schimärischen Formen zusammen. Identifiziert wurden beide Formen von Gavin Langmuir, einem renommierten Mediävisten, im vorliegenden Buch werden sie leicht abgewandelt.3 Für die xenophobe Form des Antisemitismus sind die Juden in einigen beobachtbaren Hinsichten anders, und ihre Anhänger legen unterschiedliche Grade von Unbehagen mit diesem Anderssein an den Tag. Die schimärische Form sieht die Juden als Gefahr für andere in mancherlei fantasierter Hinsicht, und ihre Anhänger wollen als Reaktion etwas dagegen unternehmen. Die Ursprünge der Wörter unterstreichen die Unterschiede: Xenos ist das griechische Wort für "Fremder, Gast", chimera bezeichnet im Griechischen ein mythisches, feuerspeiendes Ungeheuer mit dem Kopf eines Löwen, dem Körper einer Ziege und dem Schwanz einer Schlange.
Die Einstellung der antiken Römer gegenüber den Juden illustriert die Folgen dieser Unterscheidung am besten. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus kritisiert die Juden, "weil in den Kreisen der Juden unerschütterlich treuer Zusammenhalt" herrscht, "während allen anderen Menschen gegenüber feindseliger Haß hervortritt". Die Römer mochten oder verstanden bestimmte jüdische Sitten nicht, wie etwa den Monotheismus, zu dem auch gehörte, dass die Juden sich weigerten, die römischen Kaiser als Götter zu verehren; den Sabbat, der bedeutete, dass sie jede Woche nur an einem und immer dem gleichen Tag nicht arbeiteten; das Gebot der Endogamie, wonach Juden nur untereinander heiraten durften; und die Beschneidung männlicher Säuglinge als Symbol für und Erinnerung an einen besonderen Bund mit Gott. Aber die Römer betrachteten die Juden nicht als besonders oder durch und durch gefährlich, außer insoweit sie sich der Befehlsgewalt des Römischen Reichs widersetzten. Selbst nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem im Jahr 70 unserer Zeitrechnung durch die Armee des späteren Kaisers Titus und der Niederschlagung von drei aufeinander folgenden Revolten gegen die römische Herrschaft, die nach 136 zur fast vollständigen Vertreibung der Juden aus dem alten Judäa führten, konnten einzelne Juden weiterhin römische Bürger werden und wurden das auch. Als solche übten sie viele verschiedene Tätigkeiten aus.4
Einige antike ägyptische und griechische Texte bringen zwar Feindseligkeit gegen Juden zum Ausdruck, aber heftige Feindschaft gegen und Furcht vor den Juden entstand erst mit dem Aufstieg des Christentums. Das Verhältnis der Anhänger beider Religionen hat schon immer ein seltsames Paradox widergespiegelt: Die beiden Glaubensrichtungen waren sehr ähnlich und zugleich sehr verschieden, was zu scharfer Konkurrenz führte. Die Juden betrachteten die neue Religion im Kern als Häresie, als irrige Abweichung von ihrer Theologie. Und die Christen waren der Ansicht, sich zu einer neuen, verbesserten Version dieser Glaubenslehre zu bekennen, einer, die die alte in den Schatten stellte, die als Relikt einer früheren Ära überwunden werden sollte.
Die Christen übernahmen zentrale Aussagen des Judentums und rückten dann von ihnen ab. Erstens verkündeten sie den Monotheismus, erklärten aber Jesus zum Sohn Gottes und damit als göttlich. Dann gingen sie weiter zur Lehre von der Dreieinigkeit, eines Gottes in dreierlei Gestalt. Zweitens akzeptierten sie, dass die hebräische Bibel Gottes Wort offenbarte, und integrierten sie als Altes Testament in ihre Bibel, aber dann fügten sie die Evangelien hinzu (die "Frohe Botschaft") und andere Bücher als neue Offenbarungen des göttlichen Willens. Drittens passte das Christentum jüdische Vorstellungen von Auserwähltheit und dem Bund zwischen Gott und seinem Volk an neue Absichten an. Die Juden glaubten, sie und Gott hätten eine Reihe besonderer Vereinbarungen oder Pakte geschlossen; die berühmtesten sind die mit Abraham und Mose, in denen Gott versprach, die Juden zu seinem auserwählten Volk und "einem Licht unter den Völkern" zu machen, wenn sie seinen Gesetzen gehorchten. Die Gesetze bestanden anfänglich aus den Zehn Geboten und wurden dann zu 613 zentralen Gesetzen oder Mitzwot weiterentwickelt - 248 Geboten und 365 Verboten -, die in der Thora niedergelegt sind, den ersten fünf Büchern der Bibel, die bei den Christen Pentateuch heißen. Diese Gesetze deckten alles ab: von Vorschriften, was man essen und anziehen darf, bis hin zu Regeln, wie man sich zu waschen und zu beten hat. Die Christen sagten, Jesus habe einen neuen Bund verkündet, der an die Stelle des Bundes mit Mose getreten sei, die alten Gesetze seien nun überholt und dem auserwählten Volk könne jeder angehören, der sich zu Christus, den Lehren der Bibel und den neuen Schriften bekenne.
Ein Weg zum Verständnis dessen, was dann folgte, ist, sich daran zu erinnern, dass die Juden das Volk waren, das nein sagte. Als eine neue Art der Beziehung zu Gott angeboten wurde, sagten sie, sie blieben lieber bei ihrer alten. Diese Ablehnung stand am Anfang von vielen Jahrhunderten der Rivalität und wechselseitigen Vorwürfe, während beide Gruppen um Anhänger wetteiferten, bis im 4. Jahrhundert unserer Zeitrechnung das Christentum die offizielle Religion des Römischen Reichs wurde und damit anscheinend den Kampf gewonnen hatte.
Das bringt uns zu Abbildung 1, die versucht, in schematischer Form drei miteinander verwobene Sachverhalte darzustellen: erstens die sich entwickelnden und sich überschneidenden Formen der Feindschaft, die sich in Europa in aufeinanderfolgenden Phasen entfalteten, nachdem das Christentum zur dominierenden Religion geworden war; zweitens die sich verändernden Definitionen des Problems, das die Juden angeblich darstellten; und drittens die sich wandelnden Rezepte zur Lösung dieses Problems.
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